13.12.2023
In einem früheren Beitrag haben wir über „Auftrag und Grenzen der politischen Bildung“ geschrieben, bezogen auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Nun gibt es leider erneut Anlass, um über das Thema Krieg und Konflikt zu schreiben: die Eskalation des Konflikts im Nahen Osten. In diesem Beitrag geht es aber nicht um den Konflikt an sich. (Dafür gibt es viel bessere Expert*innen als uns). Stattdessen teilen wir unsere Erfahrungen mit einer Workshop-Reihe, die wir mit Studierenden an der Hertie School in Berlin durchgeführt haben, an der Simon und Björn schon seit Jahren Kompetenz-Trainings anbieten. 

Wie an vielen anderen Universitäten in aller Welt waren auch an der Hertie School die Diskussionen über den Konflikt in den letzten Wochen immer wieder eskaliert: in der Uni, in Chatgruppen und in persönlichen Gesprächen. Die Stimmung unter den Studierenden war schlecht, und es gab auch Unzufriedenheit über den Umgang der Universität mit dem Konflikt, Unverständnis über die Debatte in Deutschland insgesamt – gerade auch von Studierenden aus anderen Weltregionen. Viele Studierende wünschten sich auch Orientierung: Wie können wir über den Konflikt sprechen, ohne Betroffene zu verletzen, ohne ein Label zugeschrieben zu bekommen, und ohne gezwungen zu sein, uns für eine Seite zu entscheiden? Wie können wir produktiv und respektvoll in der Sache streiten?

Keine leichte Aufgabe, also haben wir uns zunächst bei ein paar wundervollen Menschen aus dem Umfeld von planpolitik wertvollen Rat eingeholt. Dann machten wir uns an die Konzeption. Ergebnis war ein gut dreistündiges Workshop-Konzept mit zwei Teilen: Zunächst haben wir den Studierenden den Raum gegeben, sich über ihre Empfindungen auszutauschen. Im zweiten Teil haben wir Werkzeuge und Tools für das Sprechen über konfliktreiche Themen eingeführt. Die Teilnahme an den Workshops war übrigens freiwillig.

Aber genauer: Nach Check-in und gemeinsamem Aufstellen der Gesprächsregeln waren die Studierenden eingeladen, darüber zu sprechen, wie sie die Stimmung an der Uni nach dem 7. Oktober wahrgenommen und was sie in Bezug auf Gespräche und Diskussionen über den Konflikt empfanden. In allen drei Workshops wurden sehr offen Eindrücke und Stimmungen geteilt, genauso wie Schilderungen über persönliche Hintergründe und Betroffenheiten, u.a. aufgrund von familiären Bindungen in die Region geteilt. All dies geschah ohne Hast, denn die Grundregel war, dass jede Person so lange sprechen durfte wie sie wollte, ohne unterbrochen oder kommentiert zu werden. 

Dies gelang in allen Workshops, obwohl die Meinungen der Beteiligten teils ebenso weit auseinander gingen wie die Rollen, die sie jeweils für Eskalation oder Deeskalation der Situation an der Uni gespielt hatten. Dass dieser „safe space“ gelang, war für alle Beteiligten eine sehr wertvolle Erfahrung und war laut der Aussage einiger schon der erste Schritt zu einer Besserung der Situtation. Daran schloss sich eine Runde zu Wünschen und Erwartungen an – sowohl an die eigene Community wie an die Uni-Leitung – deren Ergebnisse wir anschließend in anonymisierter Form für die Uni aufbereitet haben.  

Der zweite Teil des Workshops bestand aus einer Kurzeinführung in das „Best of“ unserer Kompetenztrainings zu Kommunikation und Konfliktmanagement – jedenfalls der Teile, die zur speziellen Anforderung dieser Situation passen. Schließlich sollte es nicht um das Bearbeiten oder Lösen von Konflikten zwischen zwei oder mehr Parteien gehen, sondern um Strategien für das Reden über einen Konflikt. , und zwar auf drei Ebenen: 

1. Self-care and Emotionskontrolle: 
Der erste Schritt ist, dass ich meine eigenen Emotionen im Blick habe. Warum reagiere ich emotional bei Diskussionen zu diesem Thema? Was ist meine Betroffenheit, was löst das Thema bei mir aus, welche anderen Themen bringe ich mit ein, von denen mein Gegenüber vielleicht gar nichts ahnen kann? Außerdem stellten wir eine Auswahl sog. grounding techniques vor, also einfacher Übungen, mit denen ich mir in emotional belastenden Situationen selbst helfen kann. 

2. Generelle Regeln, Modelle und Tools für ein produktives Sprechen über konfliktreiche Themen: 
In diesem Teil haben wir unsere Versionen von Modellen der Konfliktanalyse vorgestellt: die vier Seiten einer Botschaft, ein angepasstes Eisbergmodell, sowie dazu passende Kommunikationstechniken (WWW-Formel, aktives Zuhören, Ich-Botschaften). Kernbotschaft hier ist, dass unter der Ebene der Sachaussagen sehr vieles im Verborgenen liegt. Je mehr ich über die Interessen und Beweggründe weiß, die die andere Person und auch mich antreiben, desto eher werde ich ein produktives Gespräch führen können. 

3.      Strategien für die Reaktion auf Aussagen, die ich (sehr) problematisch finde: Für diesen Teil haben wir den Ansatz des Positionierungs-Dreiecks und dazu gehörende Gesprächsstrategien adaptiert, die eher aus dem Kontext Umgang mit rechtsextremen Personen bzw. Äußerungen bekannt ist. 

Kernthese hier ist, dass es bei der Wahl der richtigen Gesprächsstrategie immer auf den Kontext ankommt: Welches Ziel verfolgt mein Gegenüber? Ist genug Zeit, ist es die richtige Situation für eine vertiefte Diskussion? Bin ich selbst in der richtigen Verfassung für ein Gespräch? Gibt es Betroffene, andere Zuhörer*innen? Entsprechend ist die Diskussion nur eine der möglichen Strategien, ich kann mich auch entscheiden, nicht ins Gespräch zu gehen und stattdessen das Gespräch verweigern, vertagen, oder lediglich meine eigene Position deutlich machen. Auch der Schutz möglicherweise betroffener Personen im Umfeld der Situation ist hier eine Erwägung. 

Für uns persönlich, Simon und Björn, war es in diesem Jahr sicher das inhaltlich herausforderndste Projekt, und gleichzeitig das, bei dem wir selbst am meisten über uns und über unser Selbstverständnis als politische Bildner, als politisch denkende Menschen und wohl auch als Deutsche gelernt haben. Wir haben uns sehr intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, was sich in unserer Gesellschaft gerade verschiebt, welche Gewissheiten erschüttert werden, und welchen Beitrag wir dazu leisten können und wollen, dass wir als Gesellschaft produktiv und wertschätzend über Krisen und Konflikte sprechen können. Doch darüber berichten wir vielleicht ein anderes Mal.

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